die IBM Deutschland GmbH
für ihre Software „Social Dashboard“. „Social Dashboard“ wertet die Daten aus dem firmeneigenen sozialen Netzwerk „Connections“ aus. Dabei wird jedem Teilnehmer eine Punktzahl für seine „soziale Reputation“ zugewiesen. Analysiert werden die Kontakte mit anderen Mitarbeitern, wer wessen Nachrichten im firmenintern Netz liest und weiter empfiehlt und wer wie gut mit anderen Abteilungen oder Kollegen vernetzt ist. So kann ein Arbeitgeber plötzlich neue Einblicke erhalten, wer welchen sozialen Status unter seinen Kollegen hat.
Vorab: ich kenne IBM Connections nur von Demos und Berichten, weil wir selbst Jive benutzen. Aber nach allem, was ich weiß und von Anwendern gehört habe, scheint es durchaus mit unserer Collaboration Plattform vergleichbar zu sein.
Meines Wissens nach hat nur der Mitarbeiter selbst, nicht der Arbeitgeber, Zugriff auf sein eigenes Social Dashboard. Dort steht dann ein Overall Score, Scores in vier Rubriken, und die Entwicklung des Gesamtscores über die Zeit.
Könnte ich als Arbeitgeber daraus "Einblicke erhalten, wer welchen sozialen Status unter seinen Kollegen hat"? Theoretisch vielleicht, in der Praxis gibt es bestimmt bessere Möglichkeiten. Beispielsweise möglichst oft mit seinen Mitarbeitern zu kommunizieren.
Dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Wissen und ihre Erfahrung innerhalb des Unternehmens weiter geben und mit anderen teilen, ist überlebenswichtig für die meisten Firmen. Dass Firmen diese Kommunikation aber möglichst nicht über Facebook oder Whatsapp laufen lassen sollten, weil es sich um gut zu hütendes Wissen handelt, hat sich inzwischen herum gesprochen, zumindest bei den großen Konzernen. Aber die Idee der sozialen Netzwerke ist einfach zu gut – also entwickeln Unternehmen eigene, ähnliche firmeninterne Netzwerke. Bei Microsoft heißt das zum Beispiel „Yammer“, bei IBM „Connections“. Diese Plattformen sind quasi firmeninterne Facebooks, Twitters, Dropboxen und Wikipedias.
IBM Connections ist eine Cloud-basierte Plattform, die den Wissenstransfer und den Vernetzungsgedanken in der Firma ermöglichen und verbessern soll. Soweit, so gut.
Ja, so weit, so gut. Ich hätte jetzt eine Anmerkung zu von amerikanischen Firmen gehosteten Clouds erwartet, aber die Argumentation schweift ab:
Wenn Personen miteinander Kontakt aufnehmen oder jemand eine Information „teilt“, also anderen Personen empfiehlt, entsteht ein so genannter „sozialer Graph“: Ein Netzwerk von Verbindungslinien zwischen den Personen. Wenn der Rezipient einer Nachricht auch noch ein „Like“ für diese vergibt, oder die Nachricht wiederum mit anderen teilt, handelt es sich wohl um eine interessante Information – oder zumindest eine lustige… Diese Daten werden von IBMs Social Dashboard in eine Punktzahl umgerechnet, in einen Score-Wert für die soziale Reputation eines Mitarbeiters.
Es handelt sich "wohl"? Eine "lustige" Information? Nein, natürlich ist es interessant, wer wem folgt, wer was liket, wer was postet, und wer was kommentiert.
Und diese Daten auswerten: Forschungsinstitute sind daran sehr interessiert, um akademische Aussagen über Wissensmanagement und Networking treffen zu können.
Wir vermuten: Das Forschungsteam von IBM hat wohl das Buch „The Circle“ von Dave Eggers gelesen und nicht verstanden, dass das eine Dystopie ist, und keine Anleitung. Es handelt von einer Mitarbeiterin eines Kundencenters, die von ihrem Chef gedrängt wird, ihren „Partizipations-Ranking“ (kurz: PartiRank) zu verbessern. Sie soll also ihren Vernetzungsgrad innerhalb des Teams erhöhen, und das zusätzlich zu ihrer ohnehin enormen Arbeitsbelastung.
"Wir vermuten"? Wir spekulieren also ein bisschen herum.Und was hat die "enorm hohe Arbeitsbelastung" damit zu tun? Wäre die Erhöhung des Vernetzungsgrades OK, wenn die Arbeitsbelastung niedriger wäre? Was hat der BigBrotherAward mit der Arbeitsbelastung in fiktiven kalifornischen Unternehmen zu tun?
Ähnlich wie der soziale Druck in Facebook & Co dazu führt, dass die Nutzer mehr Daten von sich preisgeben, als sie es eigentlich tun wollen, endet „The Circle“ in totaler Transparenz und Kontrolle. Der Druck, die Punktzahl weiter zu steigern, führt zur Überarbeitung. Romanautor Dave Eggers hat es sich ausgedacht - IBM arbeitet dran.
Transparenz ist ja erst einmal an sich nichts Schlechtes. Jetzt könnten wir darüber diskutieren, wieviel Transparenz im jeweiligen Umfeld erstrebenswert ist.Zu Ursache und Wirkung: seit der IBM Connections Version 4.0 vom September 2012 gibt es Social Analytics, The Circle kam 2013 heraus. Übrigens: Jive kann solche Punkte und Scores auch mindestens seit 2012. Ich würde daher davon ausgehen, dass IBM schon daran gearbeitet hat, bevor das Buch veröffentlicht wurde.
Und die Überarbeitung: angeblich war die Arbeitsbelastung vorher schon enorm hoch. Also scheint doch diese hohe Arbeitsbelastung das Hauptproblem zu sein?
Jetzt mag man argumentieren, dass mit diesem „Social Score“ für die Firmen und Mitarbeiter eine neue, bessere, qualitative Bewertungsskala geschaffen wird. Mit dem „Social Score“ geht es nicht mehr nur darum, wer seine Zeit im Büro abgesessen hat, sondern Arbeitsleistung kann neu und anders bewertet werden. Damit könnten z.B. verkrustete Vorgesetztenstrukturen aufgebrochen werden, weil die Kompetenzen im Team vermeintlich objektiver bewertet werden. Und es macht doch auch Spass! Durch „Likes“ beflügelt ist es wie ein Spiel, mit ein paar Klicks einen guten Punktwert zu erreichen. „Gamification“ ist das Zauberwort unserer Tage: Alles wird zum Wettbewerb, zum „Challenge“. Auch am Arbeitsplatz.
"Jetzt mag man argumentieren": wer ist denn "man"? Wer argumentiert denn so?"Zeit im Büro absitzen" versus Management by Objectives. Ach, und Homeoffice gibt es im Jahre 2016 übrigens auch schon.
Der Begriff "Gamification" ist seit 2010 populär. Ich weiß nicht, ob 6 Jahre zu "unserer Tage" zählt.
Aber das stimmt nicht. Auch „Social Score“ bewerten nicht, wie sinnvoll und effektiv jemand arbeitet - sondern nur, wie viel sozialen Staub er aufwirbelt. Der „Social Score“ setzt falsche Anreize: Belanglose „Likes“ erhöhen den Punktwert, sinnlose Weiterleitungen verstopfen Email-Postfächer, die sowieso schon zu voll sind, und beliebte Links lenken ab von der eigentlichen Aufgabe. Und wer verhindert, dass sich meine Kollegen verabreden, mir ausdrücklich keine Likes zu geben? „Social Scores“ öffnen die Tür zu neuen Mobbing-Formen und zu einem neuen Stressfaktor in der Arbeitswelt: Zusätzlich zur Erledigung der Aufgaben muss man jetzt auch noch darauf achten, nicht plötzlich im Sozialen Ranking abzurutschen.
Deshalb sollten Gamification-Elemente wie Punkte, Scores, Badges und Ranglisten im Arbeitsumfeld nur sehr gezielt eingesetzt werden. Wer nicht intrinsisch motiviert ist (durch Selbstbestimmung, Perfektionierung und Sinnerfüllung, Working Out Loud und Community), wird diese Plattformen für "sinnlose" Beiträge nutzen, um Punkte zu sammeln.
Zu den "verstopften Email-Postfächern": Unfug. Jeder kann selbst bestimmen, wie viele Benachrichtigungen er auf welchem Wege er erhält, und wird gerade nicht zugespammt. Dies ist einer der Hauptvorteile solch einer Plattform.
Mobbing durch Verabredung zum Nichtliken: ernsthaft? Habe ich in vielen Jahren auf einer Plattform mit sechsstelliger Mitgliederzahl noch nie erlebt. Wenn es so etwas in der Praxis wirklich gäbe, dann hätte das Unternehmen ganz andere Problem.
Wir möchten mit diesem Preis daran erinnern, dass eine Auswertung von Kommunikationsstrukturen und sozialen Graphen arbeitsrechtlich absolut heikel und bedenklich ist. IBM hat das „Social Dashboard“ bei sich im eigenen Hause mit Freiwilligen getestet. Sollte hierzulande tatsächlich eine Firma erwägen, so etwas einzuführen, wird hoffentlich der Betriebsrat ganz laut bellen. Auch wenn die Software nicht „IBM Social Dashboard“ sondern z.B. „Microsoft Delve“ heißt oder noch von ganz anderen Firmen kommt. Der Hintergrund ist immer derselbe: Noch mehr Druck für die Mitarbeiter.innen, ohne eine sinnvolle Aussage über Arbeitsqualität zu liefern.
Solange die Teilnahme freiwillig ist, kann der Betriebsrat eher weniger "bellen".
Und zu dem letzen Satz: mehr Druck (oder gar "noch mehr Druck") wäre im Umkehrschluss OK, wenn damit eine sinnvolle Aussage über Arbeitsqualität geliefert werden kann? Interessant.
„Social Score“ sind nur ein weiterer der Versuch, ähnlich wie bei Gesichts- und Bewegungsmustererkennung in der Videoüberwachung, menschliches Verhalten in Zahlen zu übertragen und damit Maschinen mehr und mehr Macht über unsere Verhaltensanalyse zu überlassen.
Bei der Gesichtserkennung wird ein Verhalten wird in Zahlen übertragen? Welches Verhalten denn?
Und Maschinen wird mehr Macht überlassen bei der Verhaltensanalyse, nicht eventuell denjenigen, die die Vorgaben für die Algorithmen erstellen?
Solche gesellschaftlichen Entwicklungen gehören an den Pranger – denn schon der Versuch ist uns einen BigBrotherAward wert.
Die Entwicklungen gehören an den Pranger, denn schon der Versuch ist einen Award wert? Die Logik des Satzes verstehe ich nicht.
Herzlichen Glückwunsch, IBM
Oben waren wir noch bei IBM Deutschland GmbH, jetzt ist es nur noch IBM.
Hier ein beispielhafter Screenshot eines "Personal" Social Dashboards ("personal", weil es nur persönlich selbst einsehbar ist):